Religionsunterricht für Konfessionslose?

Ein Lernziel des Religionsunterrichts: Auch konfessionslose Schülerinnen und Schüler sollen sich das Denken, Fühlen und Handeln religiöser Menschen vorstellen können

Viele Religionslehrerinnen und -lehrer in Hessen dürften sich bei der Frage, ob es auch einen Religionsunterricht für Konfessionslose geben sollte, verwundert die Augen reiben: Denn das gemeinsame Lernen von evangelischen, katholischen, islamischen und konfessionslosen Schülerinnen und Schülern gehört schon lange zu ihrer Unterrichtsrealität, vor allem in den Ballungszentren und Großstädten.

Erste Modellversuche zu einem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht erscheinen daher vielen wie aus der Zeit gefallen: Während sie schon lange mit Muslimen und Konfessionslosen an ihren Schulen arbeiten, wird andernorts (wie in dem jüngsten Bildungspapier der Deutschen Bischofskonferenz) die konfessionelle Kooperation als eine Möglichkeit beschrieben, wenn die Situation vor Ort keine konfessionell homogenen Lerngruppen mehr zulässt.

An theologischen Fakultäten und pädagogischen Instituten ist demgegenüber das ökumenische und interreligiöse Lernen schon seit ca. 20 Jahren ein zentrales Thema der Aus- und Fortbildung für das Pfarr- und Lehramt; das gemeinsame Lernen mit konfessionslosen Schülerinnen und Schülern, für das es bislang noch keinen griffigen Leitbegriff wie den der interreligiösen Bildung gibt, gilt aber auch hier noch als ein Randthema.

2020 nur noch 50 Prozent der Schüler Kirchenmitglieder?

Dabei sprechen die Zahlen aus der Lehrer- und Schülerdatenbank (LUSD) des Hessischen Kultusministeriums schon seit Jahren eine deutliche Sprache: Nur knapp die Hälfte der Schülerinnen und Schüler im evangelischen Religionsunterricht in Frankfurt gehören der evangelischen Kirche an, wobei die Zahlen zwischen der Gymnasialen Oberstufe (70 Prozent) und der Berufsschule (ca. 20 Prozent) erheblich schwanken. Es handelt sich dabei um einen Trend, der sich in den kommenden Jahren in allen Regionen und Schulformen Hessens fortsetzen und verstärken wird. Demoskopen gehen heute davon aus, dass im Jahr 2020 nur noch 50 Prozent aller Grundschulkinder einer der beiden Großkirchen angehören werden.

Die zentrale Herausforderung für den Religionsunterricht besteht also darin, mit Schülerinnen und Schülern über eine religiöse Praxis ins Gespräch zu kommen, an der sie nicht selbst partizipieren.

Dabei gilt auch für das gemeinsame Lernen mit Konfessionslosen die alte Faustregel, dass das Lernen stets vom Einfachen zum Komplexen, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren und vom Anschaulichen zum Abstrakten verlaufen sollte: Warum ist vielen Eltern wichtig, ihr Kind taufen zu lassen? Was ändert sich am Selbst- und Weltverständnis, wenn Christen die politische Forderung nach Frieden und Gerechtigkeit als Fürbitte in einem Gottesdienst sprechen? Und wie stellt sich das „christliche Abendland” in der Perspektive eines muslimischen Flüchtlings dar?

Solche Fragen erfordern Aufgabenformate, mit denen sich Schülerinnen und Schüler das Denken, Fühlen und Handeln religiöser Menschen vorstellen können, ohne dass damit die Erwartung einhergeht, an einer bestimmten religiösen Praxis partizipieren oder eine bestimmte Glaubensperspektive übernehmen zu sollen. Vor allem konfessionslosen Eltern muss deutlich bleiben, dass der konfessionelle Religionsunterricht zwar auf eine konkrete kulturelle Praxis bezogen, aber trotzdem kein Ort religiöser Erziehung und Sozialisation ist. Der konfessionelle Religionsunterricht ist auch dann kein Glaubens- oder Ethikunterricht, wenn er sich mit  Glaubensfragen und ethischen Problemen in der Perspektive einer bestimmten Religion oder Konfession beschäftigt. Der Religionsunterricht ähnelt damit am ehesten dem Sprachunterricht. Auch diesen gibt es nicht in allgemeinvergleichender, sondern nur in spezifischer Gestalt (als englischen, französischen, deutschen Sprachunterricht etc.).

Wohin es führt, wenn Kindern und Jugendlichen das Recht auf religiöse Sprachfähigkeit vorenthalten wird, lässt sich derzeit an Frankreich beobachten. Hier gibt es seit 1905 (von katholischen Privatschulen abgesehen) keine religiösen Bildungsangebote an staatlichen Schulen, was den Staat zunehmend vor massive Religions- und Integrationskonflikte stellt. Gerade Konfessionslosen gegenüber ist daher deutlich zu machen, dass es neben der bildungsfeindlichen Abschaffung religiöser Bildungsangebote und dem Beharren auf den Status quo einen zukunftsfähigen Mittelweg gibt: den der konfessionellen Kooperation, der langfristig zu einer theologisch und pädagogisch begründeten Kooperation mit anderen religiösen und nichtreligiösen Lebensorientierungen zu erweitern ist.

 

Dr. theol. habil. David Käbisch (43) ist Professor für Religionspädagogik in Frankfurt am Main. Er studierte Ev. Theologie in Leipzig, Jerusalem und Cheltenham und arbeitete nach der Promotion in Jena an der Uni Marburg. Dort habilitierte er sich mit einer Arbeit zum gemeinsamen Lernen mit Konfessionslosen. Er gehört dem Fachbeirat des RPI der EKKW und EKHN an, ist Mitglied der EKHN-Synode und lebt in Marburg.

 

Erstveröffentlichung: „blick in die kirche“ 2/2017, S. 8