
„Manche schütten mir ihr Herz aus!“
Die Theologie ist eine lebenspraktische Wissenschaft. Sie ordnet ein, setzt Möglichkeiten der modernen Zivilisation ins Verhältnis zu christlichen Grundwerten und macht zum Beispiel naturwissenschaftlich errungene Erkenntnisse somit erst operationalisierbar: Wie gehen wir um mit der Möglichkeit Leben zu verlängern? Inwieweit beeinflussen wir den Lebensanfang – oder gar das Recht auf Leben? Wo beginnt die Menschenwürde – und kann man sie verlieren?
Auch werden den Schülerinnen und Schülern Erfahrungen mit dem Tod kaum erspart bleiben – und im schulischen Umfeld gibt es keine andere Disziplin, die qualifiziert über dieses Ereignis hinausschauen könnte. In welchem Schulfach sonst könnte eine Perspektive jenseits des Todes aufgezeigt werden, die Trost spenden kann? Nicht selten nehmen Jugendliche in persönlichen Krisensituationen die Religionslehrerin als Ansprechpartnerin wahr und schütten mir ihr Herz aus. Ich empfinde dies als eine besondere Verantwortung – aber es motiviert und begeistert mich auch, wenn diese jungen Menschen dann aus der persönlichen Beratung oder dem Unterricht heraus Strategien zum Umgang mit ihren Problemen gewinnen.
Ebenso gilt es, den Maßstab der christlichen Werte – wie etwa Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Partizipation – an politische Ereignisse und Verhältnisse anzulegen. Eine Bewertung der Umstände und Entwicklungen auf der Grundlage einer christlichen Ethik erlernen die Schüler*innen ebenfalls ausschließlich im Religionsunterricht. Auf diese Weise leisten Religionslehrkräfte einen wichtigen Beitrag dazu, dass Schülerinnen und Schüler Geschehnisse einordnen, bewerten und danach im christlichen Sinne gesellschaftlich gestalten können.
Auf Tagesaktuelles und Drängendes wie zum Beispiel naturwissenschaftliche Durchbrüche, Katastrophen, Gerichtsurteile oder auch persönliche Schuld und Krisen reagieren zu können, erfordert von den Jugendlichen breite Kenntnisse und Reflexion der christlichen Botschaft. „Seid Täter des Wortes, nicht nur Hörer“ (Jak. 1,22) – ihnen dies beizubringen, ist eine sehr inspirierende Herausforderung – und meine Aufgabe!
Simke Ried (36) ist Lehrerin für Ev. Religion an der Adolf-Reichwein-Schule in Marburg