Wir kriegen den Blues
Ein Hanauer Gymnasium am Mittwochmorgen. Nieselregen. Drinnen singen alle: „Go down Moses“. Und leisten unter der heißen Sonne Ägyptens pantomimisch die Fronarbeit, zu der der Pharao die Israeliten zwingt. Reli-Unterricht hautnah! „Aber die haben doch gar nicht Englisch gesprochen“, weiß Lisa. Darauf habe ich gewartet. „Das ist auch kein Lied der Israeliten in Ägypten“, sage ich. Wir hören also von den versklavten Afrikanern in den amerikanischen Südstaaten, die ihre Geschichte in jener Israels wiedergefunden haben, – und wir „kriegen den Blues“. Die Geschichten der Bibel sind unsere Geschichten – das möchte ich mit den Schülern entdecken. Wir sprechen auch über die billige Jeans, an der vielleicht das Blut von Kinderhänden klebt. Sicher eine harte Lektion, aber eine, die bleibt: „Go down Moses.“
Unterricht in der Abi-Klasse. Karl Barth und seine These, dass Religion Menschenwerk ist. Wie können wir uns mit „Offenbarung“ auseinandersetzen? Mit dem „ganz Anderen“, und wie verhalten wir uns dazu? „Ich steh‘ vor dir mit leeren Händen, Herr“, singen wir und reden uns die Köpfe heiß. Die Pausenklingel kommt zu früh.
Natürlich gibt’s auch das: Präsentationen nicht vorbereitet, Unterlagen vergessen, Texte nicht gelesen. Auch dazu passt ein Lied: „Einsam bist du klein …“
Nach zwölf Jahren ist „Schulgemeinde“ für mich ein treffender Begriff: Ich darf als Schulpfarrer junge Menschen bis zu neun Jahre lang auf ihrem Weg begleiten. Wir teilen den Alltag. Gute Zeiten – schlechte Zeiten. Es gibt Spaß und Frust. Ich spiele mit den Schülern Theater, mache Musik und halte Gottesdienste. Ich bin da, wenn’s eng wird, mit den Noten, in der Familie, in den jungen Beziehungen. Ein Grenzgänger zwischen Lehrer und Seelsorger. Aber genau da ist, finde ich, der Platz für Religion in der Schule und der richtige Platz für mich. Das Land der Verheißung liegt zu beiden Seiten der Grenze.
Hermann Trusheim, Schulpfarrer an der Hohen Landesschule in Hanau