Lust oder Frust?
Interview mit Dekanin Carmen Jelinek (Kaufungen) über Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer als Lehrkräfte für Religion an staatlichen Schulen

Jede Pfarrerin, jeder Pfarrer ist verpflichtet, vier Stunden Religionsunterricht (RU) in der Woche zu erteilen. Gehen sie gern in die Schule? Der Alltag im Gemeindedienst ist ja schon mannigfaltig ausgefüllt.

Carmen Jelinek: Schulunterricht gehört zu den Grundaufgaben eines Pfarrers, einer Pfarrerin. Neben Gottesdiensten, Amtshandlungen, Konfirmandenunterricht und Seelsorge nimmt er einen zentralen Platz im Pfarrberuf ein. Es muss den künftigen Pfarrern bereits in der Ausbildung deutlich vermittelt werden, dass Religionsunterricht Teil ihrer Arbeit und nichts Zusätzliches ist, sonst ist eine gewisse Frustration vorprogrammiert. Wie alle pfarrdienstlichen Arbeitsbereiche erfordert auch der Religionsunterricht Kommunikationsfähigkeit und die Bereitschaft zu persönlichem Engagement.

Schulunterricht wird vielleicht anstrengender empfunden als andere Bereiche der Gemeindetätigkeit, weil man bei einem großen Teil der Schüler einer grundsätzlich skeptischen Haltung Kirche und Religion gegenüber begegnet. Jugendliche zeigen sich aber meist offen für die Vermittlung von Werten und Orientierungshilfen auf der Suche nach eigenen Standpunkten. Eine besondere organisatorische Herausforderung liegt darin, dass die Theologen aus ihren pfarramtlichen Zusammenhängen, wo es zum Teil auch zeitliche Vorgaben gibt, herausgehen müssen, um sich in den Ablauf des Schulbetriebs zu begeben. Vier Stunden Religionsunterricht, die in die Vormittage des Pfarreralltags eingebaut werden müssen, sind vom Unterrichtsplan der Schule her gesehen nicht viel, aber der Aufwand, um zeitliche Vorgaben der Geistlichen sowie der Schule zu koordinieren, ist bei der Stundenplanung von Seiten der Schule hoch. Es gibt Pfarrer und Pfarrerinnen, die sehr gern in die Schule gehen. Hier kommt es auch auf individuelle Begabungen und Interessensschwerpunkte an, wie in allen Bereichen des Pfarrerseins. Eine größere Flexibilität im Hinblick auf den verpflichtenden Unterricht wäre manchmal sinnvoll. Das heißt, ein Pfarrer würde das Unterrichtskontingent des Kollegen zusätzlich übernehmen, der andere entlastet diesen dafür in einem anderen Aufgabenbereich.


Unterricht zu geben ist ja nicht jedermanns Sache. Was passiert, wenn die Geistlichen überfordert sind oder mit den Schülern nicht zurechtkommen?


Carmen Jelinek: Schulunterricht ohne regelmäßige Teilnahme an qualifizierten Fortbildungen ist undenkbar. Das betrifft einerseits Angebote zum Schutz und zur Erhaltung der psychischen Gesundheit, die im Bedarfsfall zur Verfügung stehen sollten, andererseits Fortbildungen im Bereich der Religionspädagogik und Methodik oder zu theologischen Fragen. Nicht zu vergessen auch Angebote, die die sich schnell ändernde Lebenswelt von Jugendlichen thematisieren. Die Kirchenleitung trägt die Verantwortung, die Pfarrer in ihrer Lehrtätigkeit gut zu begleiten, schließlich geht es bei den Schülern auch um die Zukunft der Kirche.

Wenn es zu beruflichen Überforderungen kommt, gibt es die Möglichkeit, darüber mit den Dienstvorgesetzten (Dekan/Dekanin) zu sprechen, um nach Lösungen zu suchen. Kollegiale Solidarität und Teamgeist sind erforderlich, wenn ein Kollege durch den Unterricht überfordert wird, sodass durch Aufgabentausch das Problem behoben werden kann. In besonderen Situationen hat die Kirchenleitung die Möglichkeit, Pfarrerinnen und Pfarrer aus wichtigen Gründen vom Unterricht zu befreien.


RU ist in der Grundschule sicher etwas ganz anderes als in der Sekundarstufe II: Was sind die Chancen für Pfarrer in den verschiedenen Schulstufen?


Carmen Jelinek: Religionsunterricht in der Grundschule ist oft der erste Zugang zu religiösen Fragen. Ausgangspunkte religiösen Lernens in der Grundschule sind die Fragen der Kinder selbst, die Begegnung mit den anderen in der Klasse sowie das Verstehen des unmittelbaren und erlebbaren kulturellen Umfeldes. Zur religiösen Kompetenz für diese Altersstufe gehört zunächst einmal, religiöse Dinge aus dem erlebbaren Umfeld mit den richtigen Wörtern benennen zu können und wichtige biblische Geschichten zu kennen. Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer in der Grundschule unterrichten, bekommen sie frühzeitig Kontakt zu Kindern, die sie spätestens im Konfirmandenunterricht wiedersehen. Im Mittelpunkt des Religionsunterrichts der Sekundarstufe stehen zentrale Fragen des Menschseins: nach Identität, nach Sinn- und Zielperspektiven für das Leben sowie nach Verantwortung in der Welt. Die Antworten, die der christliche Glaube auf diese Fragen gibt, werden reflektiert und vor dem Hintergrund aktueller Themen und Probleme sowie im Dialog mit anderen religiösen oder weltanschaulichen Konzepten kritisch bewertet.


Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit von Kirche und Schule?


Carmen Jelinek: Grundsätzlich gut. Natürlich hängt jede Zusammenarbeit immer auch von Personen und deren Einstellungen ab. In einer Zeit, in der Ganztagsangebote in Schulen im Vormarsch sind, hat das auf die Nachmittagsangebote von Kirchengemeinden große Auswirkungen. Hier ist gegenseitiges Verständnis gefragt, aber auch Kreativität und Bereitschaft zu Kooperationen. Schule und Kirche könnten ihre Angebote noch mehr verzahnen. Die Kirche steht vor der Herausforderung, einige ihrer Angebote in die Schule zu verlegen. Das muss von beiden Seiten gewollt sein.


Fragen: Cornelia Barth

Erstveröffentlichung: „blick in die kirche“ 6/2012, S. 12